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KABINETTSTÜCK

Paloma Varga Weisz
22.9.-27.11.2016
Eröffnung 21.9.2016, 19.30 Uhr

Die seltsam fantastischen Figuren von Paloma Varga Weisz (*1966, lebt in Düsseldorf) zeigen und entziehen sich dem Blick des Betrachters zugleich. Sie deuten Narrative an, formulieren sie jedoch niemals aus und bleiben in genau jenem Schwebezustand,  der sie der Darstellung konkreter Personen zugunsten allgemeiner, menschlicher Figuren enthebt. Ihre symbolisch bedeutungsvolle Aufladung entfaltet seine Spannung aus dem Spezifischen und dem Allgemeinen, das in surrealen Momentaufnahmen zum Vorschein kommt. Zauberhaftes und Traumhaftes, Melancholisches, Tragisches und Verdrängtes finden bei Varga Weisz zu stillen, aber umso bewegenderen Werken zusammen.

Seit den 1990er Jahren fertigt die Künstlerin Skulpturen aus Holz und Keramik, sowie Installationen, Aquarelle und Zeichnungen, in denen sie ikonografische Traditionen und Darstellungsweisen aufnimmt und transformiert. Die „Lady of Naumburg“ (2016) betitelte Büste aus gefasstem Lindenholz z.B. bezieht sich auf die Skulptur der Uta von Naumburg im dortigen Dom, zeigt sie jedoch ohne Schmuck und Krone, die Kopfpartie sauber weißlich bemalt, während der Gewandansatz durch heraustropfende Farbe befleckt ist.

Varga Weisz‘ Figuren und ihr Material sind durchlässig und lassen latent Unsichtbares zum Vorschein kommen: Maskeraden, Metamorphosen und Stigmata wachsen aus ihnen heraus und psychologisieren das Motiv. Die zugrunde liegenden Erzählungen entstammen dem menschlichen Körper, dem Traum und der Erinnerung und machen nicht selten semantische Sexualisierungen sichtbar, die die idealisierten Darstellungstraditionen kritisch reaktivieren.

Werke aus der „Bois Dormant“ betitelten Werkserie (2015) bilden den Kern der Ausstellung von Fürstenberg Zeitgenössisch. In den Schränken hat Varga Weisz Objekte wie Hüte und Pferdeschwänze zusammen mit kleinformatigen Skulpturen, die Extremitäten darstellen, arrangiert – u.a. weibliche Büste oder männliche Köpfe. Der Schrank als ein persönliches Ordnungsmittel des Häuslichen, als Raum-umschließendes Element, gilt in der Traumdeutung auch als Symbol für den weiblichen Körper. Im „Cabinet 4“ steht eine männliche Schnitzfigur mit Hut und Kniebundhosen, die Hände in den Hosentaschen und betrachtet die Schrankrückwand. In diesem Kompartiment ist nicht die Maserung des Holzes zu sehen, sondern dicht an dicht eine Vielzahl von Vulven. Ähnlich demonstrativ wächst aus dem hölzernen Berg, den der „Mountaineer“ (2015) bestiegen hat, ein männliches Geschlechtsmerkmal hervor. In solchen ebenso einfachen wie tiefgründigen Konfrontationen legt die Künstlerin unausgesprochene Subtexte offen.

Die „Bois Dormant“ zeigt Varga Weisz in „Kabinettstück“ zusammen mit Aquarellen und weiteren, solitären Skulpturen, in denen sich Motive wie Hüte, Doppelköpfe, Wandererfiguren und Deformationen wiederholen. Die über Jahrhunderte als Ausdruck von Stellung und Freiheit fungierende Kopfbedeckung erscheint als phallischer Hutstapel aber auch auf dem Kopf der Skulpturen, als Ansammlung von Strohhüten, als um den Kopf gelegter Schleier aus Haar, als Kürbis, Ginkgoblatt oder Hundekopf. Letzterer findet sich in dem Aquarell „Portrait eines Hundes“ (2007), das Menschliches mit Animalischem untrennbar verbindet. Das Blatt zeigt Mund, Nase, drei Augenpaare, ein menschliches und ein hündisches Paar Ohren in einem surrealen Gesamtportrait, das genau jene Bewegung kondensiert, die den Arbeiten der Künstlerin innewohnt. Sie verschmilzt im Zusammenspiel von Material und Theorie einander vermeintlich fremde Elemente zu einer schlüssigen Form, in der nicht mehr wie im Vexierbild zwischen zwei Betrachtungsformen unterschieden werden kann: das eine ist stets bereits im anderen enthalten. So verleiht Paloma Varga Weisz in ihren ebenso schönen wie beunruhigenden Figuren subkutanen Wünschen, Zwängen und Identitäten in unaufgeregter Weise Ausdruck.

IMPRESSIONEN