ZWEITER STREICH
João Maria Gusmão & Pedro Paiva, Petrit Halilaj & Dorota Jurczak
14.4.–28.8.2013
João Maria Gusmão & Pedro Paiva, Petrit Halilaj & Dorota Jurczak
14.4.–28.8.2013
Gleich dem „Zweiten Streich“ von Wilhelm Busch, in dessen Zentrum vier wohlgenährte Hühner stehen, die von einem umtriebigen Lausbubenduo aus der Küche der Witwe Bolte geangelt werden, ist auch in der gleichnamigen Ausstellung in den „Fürstlich Fürstenbergischen Sammlungen“ ein Quartett Gegenstand des Begehrens. Im Gegensatz zu der Geschichte Buschs, handelt es sich dabei allerdings nicht um Repräsentanten der weitverbreiteten Vogelart, sondern um vier Künstler unterschiedlicher Herkunft, die im Rahmen der Ausstellung in den Mittelpunkt gerückt sind und auf die sich insofern die Aufmerksamkeit richtet.
Die Anzahl gilt es zu betonen, erhalten doch alljährlich normalerweise nur drei Kunstschaffende das auf Schloss Heiligenberg angesiedelte Fürstenberg-Stipendium. Im letzten Sommer hingegen, erhöhte sich die Anzahl ausnahmsweise von Drei auf Vier, verweilten in Heiligenberg neben dem Kosovaren Petrit Halilal und der Polin Dorota Jurczak, auch das portugiesische Künstlerduo João Maria Gusmão & Pedro Paiva. Der Kreativität taten diese veränderten Rahmenbedingungen keinen Abbruch, im Gegenteil: Auf Schloss Heiligenberg wurde während der Sommermonate auf vielfältige Weise gewerkelt, gebrütet und gearbeitet, so dass auch die zweite Stipendiaten-Schau in Donaueschingen mit einer umfassenden Auswahl von Werken bestückt werden konnte.
Wie bei der Ausstellung „Absolute Beginner“, dem gewissermaßen „Ersten Streich“ der Fürstenberg-Stipendiaten in Donaueschingen, spiegelt sich der Aufenthalt auf Schloss Heiligenberg auch bei dem zweiten Jahrgang des Förderprogramms in den künstlerischen Produktionen wider. Besonders deutlich wurde dies bei João Maria Gusmão & Pedro Paiva, die während ihres Aufenthaltes verschiedene Filme und Fotoarbeiten fertigten, die durch die Auseinandersetzung mit ortstypischen Zeugnissen, wie einer Kuckucksuhr, oder dem Zitat von topografischen Besonderheiten, wie dem bei Schaffhausen gelegenen Rheinfall, in direktem Bezug zu der Schwarzwald- und Bodenseeregion stehen. Dabei nutzten Gusmao & Paiva diese Objekte und Orte als Ausgangspunkt für ihre Betrachtungen und Überlegungen und ermöglichen so eine neue Wahrnehmung von Altbekanntem, indem sie in den Arbeiten eine Verschiebung des Blickwinkels, die Entschleunigung gewohnter Rhythmen und die gezielte Fokussierung oder Überblendung bestimmter Details vollziehen.
So verändert sich zum Beispiel in der filmischen Arbeit „Cuckoo clock“ das Innenleben einer sich stetig bewegenden Kuckucksuhr zu einem hypnotischem Schauspiel, das mit dem verlangsamten Gruß des Miniaturvogels durch die kleine Luke der Holzuhr endet, oder erscheint, gleich einer schimmernden Fata Morgana, ein handgemachter Regenbogen über den rauschenden Fluten des Rheinfalls. Die Arbeiten der beiden Portugiesen spielen unserer Wahrnehmung und unseren Gewohnheiten einen deutlichen Streich und vermischen Übersinnliches mit der Welt der Wissenschaften sowie mit Legenden und Mythen.
Hühner, wie jene, die der Witwe Bolte bei Wilhelm Busch stibitzt werden, sind auch eine der großen Leidenschaften von Petrit Halilaj, der parallel zu João Maria Gusmão & Pedro Paiva auf Schloss Heiligenberg Stipendiat war. Der 1986 in Pristina geborene Künstler beschäftigt sich seit seiner Jugend mit den zu der Familie der „Fasanenartigen“ gehörenden Vögeln. Die Zeichnungen Halilajs sind aber nicht bloße Wiedergaben des weit verbreiteten Federviehs. Er stellt die Hühner als sich aufplusternde, extrovertierte und stolzierende Wesen dar, die eigene und klar unterscheidbare Persönlichkeiten aufweisen und als „Bourgeois Hens“, als bürgerliche Hennen, einer soziologischen Gruppe zugerechnet werden können. Gesellschaftliche Zustände, Klassifizierungen, Normen und Werte, wie auch Erinnerungen an seine Kindheit und Jugend repräsentieren die Hauptgebiete, um die Halilajs Werk kreist. Deutlich nachvollziehbar ist dies ebenfalls in der einnehmenden Videoarbeit „Who does the earth belong to while painting the wind?!”, in der Halilaj jenes Gelände mit seiner Kamera durchstreift, auf dem sich einst das Haus seiner Familie befand, das während des Kosovokrieges 1998/99 zerstört wurde und nun von der Natur mit neuem Leben und Hoffnung versehen wird. Halilaj ist ein poetischer Geschichtenerzähler, der seine eigene, noch junge Biografie in seinen Werken verarbeitet und anhand dieser universelle Themen, wie Heimat, Identität, Geschichte oder Erinnerung, in den Fokus rückt.
Narrationen in vielfältigen Ausprägungen spielen auch im Schaffen von Dorota Jurczak, der vierten Fürstenberg-Stipendiatin, eine zentrale Rolle, auch wenn diese bei der gebürtigen Polin weniger über Andeutungen und Symbole entwickelt werden, als es bei Halilaj der Fall ist. Die meisterhaft gestalteten Malereien, Zeichnungen, Grafiken und Objekte der 1978 in Warschau geborenen Künstlerin erzählen von menschlichen und tierischen Geschöpfen, die der Welt der Kinderbücher entsprungen sein könnten und zunächst recht beschaulich daher kommen. Bei genauerer Betrachtung wird allerdings deutlich, dass die Geschöpfe Jurczaks alles andere als niedlich oder kindgerecht sind. Mit den Figuren, die die junge Polin mit präzise gesetzten Linien in unser Sichtfeld bringt, verbindet sich ein abgründiges, zuweilen schauderhaftes Moment, das entfernt an die Stimmungen des Surrealismus oder der grotesken Kunst erinnern lässt. Hier weisen Tiere auf einmal menschliche Züge und Gliedmaßen auf, erwachsen filigrane Wesen aus Pfeifenrauch oder werden Vögel lebend von Menschen gefressen. Verweise auf die Psychoanalyse Sigmund Freuds lassen sich dabei in den Werken Jurczaks genauso ausmachen, wie Anspielungen auf kunsthistorische Vorläufer à la Hieronymus Bosch. Aber auch Bezugnahmen auf den titelgebenden Wilhelm Busch lassen sich an dieser Stelle erahnen, so dass es nicht verwundern darf, dass es Jurczak war, die sich dazu hinreißen ließ, die Einladungskarte zur Ausstellung „Zweiter Streich“ zu gestalten.
Warum aber diese zahlreichen Verweise und Anspielungen auf Wilhelm Busch und dessen weitbekannten Schosen? Die Gründe hierfür liegen auf der Hand: Zwischen „Max und Moritz“, der einprägsamen Bildergeschichte Buschs, und der zweiten Präsentation der Fürstenberg-Stipendiaten in Donaueschingen bestehen offensichtliche Parallelen. Aufgrund der sich alljährlich wiederholenden Ausstellungen des Stipendiatenprogramms in den „Fürstlich Fürstenbergischen Sammlungen“ gilt hier ganz ähnlich wie bei Wilhelm Busch: „Dieses war der zweite Streich, Doch der dritte folgt sogleich.“